Die Veröffentlichung des Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Die Wahrheit ist eine Frage der Perspektive – Beleuchtung unterschiedlicher Narrative im Ukraine-Konflikt
Von Wolfgang Effenberger
22.12.2022
Im Ukraine-Konflikt stehen sich zwei Narrative diametral gegenüber:
Für den Westen ist das Referendum auf der Krim vom 16. März 2014 eine völkerrechtswidrige Annexion, für Russland eine völkerrechtskonforme Sezession. Der Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 wird vom “Kollektiven Westen” als völkerrechtswidriger Angriffskrieg gesehen, der keinesfalls zufolge gezielter Provokationen Russlands ausgelöst wurde. Im Gegensatz dazu spricht Präsident Putin von der Notwendigkeit dieser “speziellen Militäroperation zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine”. Deren Ziel es sei, jene Menschen zu schützen, die seit acht Jahren den Schikanen und dem versuchten Völkermord durch das Kiewer Regime ausgesetzt sind.1)
Beide Sichtweisen bilden sicherlich nur jeweils einen Teil der Wahrheit ab. Um die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zu schaffen, ist es unabdingbar, dass sich alle Konfliktparteien jeweils auch mit den Sichtweisen ihrer Gegner ernsthaft auseinandersetzten und bereit sind, die unterschiedlichen Positionen nüchtern zu analysieren und versuchen, die Gründe für den nun tobenden Krieg mit der Bereitschaft eines Standortwechsels zu verstehen. Schon im römischen Reich, das alles andere als eine vorbildliche Demokratie war, galt stets als Handlungsprinzip die weise Erkenntnis des Philosophen Seneca ( 4 vor Chr. Bis 65 n Chr.): “Audiatur et altera pars”2) (man höre immer auch die andere Seite an!). Deutschland scheint allerdings auf die Anwendung des Artikels 103 / Absatz 1 im geltenden Grundgesetz bewusst zu verzichten. Dieser besagt: „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör“. In der gesellschaftlichen Praxis ist von diesem Handlungsprinzip offensichtlich nicht viel mehr übrig geblieben. Frieden aber ist nur auf Basis eines verantwortlichen Umgangs mit diesem Grundrecht möglich, das jegliche Parteilichkeit und Vorverurteilung ausschließt.
Im Sinne einer der Menschheit dienenden Zukunft ist im gegenständlichen Fall ein objektiver Rückblick unerlässlich.
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