Suche nach Frieden in der Ukraine? Von Jacques Baud

Quelle: Zeitgeschehen im Fokus; Ausgabe Nr. 22; 22.12.2022

Suche nach Frieden in der Ukraine?

Von Jacques Baud

22.12.2022

Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschulinstitut für internationale Beziehungen in Genf absolviert und war Oberst der Schweizer Armee. Er arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges, arbeitete u.a. für die Nato in der Ukraine und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation.

Heute zeigen uns unsere Medien die tragischen Bilder von Kindern und Zivilisten, die bei Kälte und Dunkelheit in die U-Bahn von Kiew geflüchtet sind, um Schutz vor den Bomben zu suchen. Das ist traurig, und sie verdienen unser Mitgefühl. Es ist natürlich einfach, Russland dafür die Schuld zu geben. Doch weder diese Ukrainer noch unsere Medien, Diplomaten oder Regierungen zeigten das gleiche Mitgefühl für die anderen Ukrainer, die im Donbas acht Jahre lang von Kiews Armeen bombardiert wurden und seit 2014 jedes Weihnachten und jeden Winter unter denselben Bedingungen verbringen. Warum ist das so?

Tatsache ist, dass für die ukrainischen Neonazi-Milizen die Menschen im Donbas nur «Untermenschen» sind, die unser Mitgefühl nicht verdient haben. Diese Position wurde acht Jahre lang von unseren Medien geteilt, die niemals ihre Stimme gegen diese Angriffe erhoben haben. Diese über 10 000 Toten haben weder unsere Medien noch unsere Diplomaten bewegt, die doch so sehr um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts (HVR) besorgt sind – allerdings nur für gewisse Menschen!

Wenn es unseren Diplomaten und Medien wirklich darum gegangen wäre, einen Krieg in der Ukraine zu verhindern, hätten sie die Missachtung des Status der Krim im Jahr 1995 durch die Ukraine angeprangert; sie hätten den Staatsstreich von 2014 verurteilt; sie hätten die Diskriminierung der russisch-, ungarisch- und rumänischsprachigen Minderheiten durch die nicht gewählten ukrainischen Behörden im Jahr 2014 verurteilt; sie hätten seit 2014 die Ukraine dazu gedrängt, ihren Verpflichtungen aus den Minsker Vereinbarungen nachzukommen; sie hätten ein wenig Mitgefühl für die russischsprachigen ukrainischen Zivilisten im Donbas gezeigt, die seit 2014 von ihrer eigenen Regierung bekämpft wurden; sie hätten die internationale Öffentlichkeit vor den Übergriffen der Neonazi-Milizen auf Zivilisten im Donbas gewarnt; sie hätten im Februarund dann im August 2021 die Schliessung der ukrainischen Oppositionsmedien verurteilt, die sich anschickten, die internationale Gemeinschaft auf die im März beschlossene Vorbereitung einer Offensive in der Südukraine aufmerksam zu machen; sie hätten den ukrainischen Artilleriebeschuss der Zivilbevölkerung im Donbas Mitte Februar 2022 verurteilt; sie hätten das Verbot von Oppositionsparteien in der Ukraine im Jahr 2022 verurteilt.

Die Ukraine-Krise hätte durchaus vermieden werden können, wenn wir uns bemüht hätten, sie verstehen zu wollen und sie rechtzeitig, d. h. ab 2015, anzugehen. Wir haben es jedoch nicht getan – absichtlich! Die jüngsten Interviews mit Angela Merkel in den deutschen Zeitungen «Der Spiegel» und «Die Zeit» zeigen, dass Deutschland den Frieden in Europa absichtlich geopfert hat, um den Anschein der Einheit in der Nato zu wahren.

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PDF-Version: JB 22.12.2022