Quelle: GERMAN-FOREIGN-POLICY.com
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Die Hungermacher (III)
EU verhindert weiterhin die Belieferung Afrikas mit russischen Düngemitteln. UNO warnt vor Hunger. Deutscher Politiker zieht die Nutzung von Hunger als Druckmittel in Konflikten in Betracht.
6.1.2023
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9124
BERLIN/BRÜSSEL/MOSKAU (Eigener Bericht) – Die EU verhindert mit ihren Sanktionen trotz gegenteiliger Behauptungen immer noch die Belieferung vor allem afrikanischer Länder mit dringend benötigten russischen Düngemitteln. Dies belegt etwa die Tatsache, dass russische Unternehmen klagen, trotz der Erleichterungen, die Brüssel im Dezember zugesagt habe, würden Düngemittellieferungen nach Afrika weiterhin ausgebremst. Hinzu kommt, dass die Vereinten Nationen Gespräche über die Wiederöffnung einer blockierten Pipeline, die russisches Ammoniak durch die Ukraine leitet, ohne Termin vertagen mussten. Pipelines, die russisches Erdgas in die EU leiten, blockiert die Ukraine nicht. 2022 sanken die russischen Düngemittelexporte um rund 15 Prozent – wohl vor allem zu Lasten afrikanischer Staaten. Die Vereinten Nationen warnen, das Fehlen von Dünger verursache Ernteausfälle, die zu Hungersnöten führen können. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter zieht die Drohung mit Hunger in Handelskonflikten mit China in Betracht. Sofern ein Staat Deutschland keine Seltenen Erden mehr liefere, könne man laut Hofreiter fragen: „Was wollt ihr eigentlich essen?“ China muss Lebensmittel importieren – auch aus Deutschland.
Die Folgen der Sanktionen
Die maßgebliche Ursache des derzeitigen Düngermangels in Afrika ist das undurchsichtige Geflecht der EU-Sanktionen gegen Russland, einen der größten Düngemittelproduzenten der Welt. Die Sanktionen sparen zwar der Form halber Düngemittellieferungen an afrikanische Staaten aus. Das nützt aber nicht viel, da die Sanktionen gegen die russischen Finanz- und Transportbranchen Lieferung und Bezahlung erschweren oder gar völlig unmöglich machen. Hinzu kommen Sanktionen gegen russische Milliardäre, die in der Branche ihren Reichtum verdienen. Die EU hat im Dezember in Reaktion auf den zunehmenden Protest aus Afrika ihren Mitgliedstaaten die Option eröffnet, die Sanktionen gegen sechs russische Milliardäre abzuschwächen, um die Düngemittellieferungen an afrikanische Staaten endlich wieder in Gang zu bringen (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Zuvor hatte es darum heftigen Streit gegeben; vor allem Polen und die baltischen Staaten hatten sich grundsätzlich gegen jegliche Erleichterung gesperrt und dem Machtkampf gegen Russland klar Vorrang vor dem Kampf gegen Düngermangel und drohende Hungersnöte in Afrika eingeräumt.
In EU-Häfen festgesetzt
Nun geht jedoch aus Berichten hervor, dass die stolz verkündeten Sanktionserleichterungen unzureichend sind und russische Düngemittel immer noch nicht in ausreichendem Maß nach Afrika gelangen. Zwar ist – nach mehrmaliger Verzögerung – am Neujahrswochenende eine erste Düngemittellieferung von 20.000 Tonnen im Hafen von Beira in Mosambik eingetroffen, von wo aus sie weiter nach Malawi transportiert werden soll; dort dürfte sie in einigen Wochen eintreffen. Sie deckt drei Prozent des malawischen Jahresbedarfs.[2] Sie entstammt einer deutlich größeren Menge russischer Düngemittel, die wegen der Sanktionen in diversen Häfen Europas festgesetzt worden waren und dort nutzlos lagerten, während in Afrika Mangel herrschte. Die EU bzw. ihre Mitgliedstaaten haben sie auch jetzt lediglich im Rahmen eines speziellen Programms freigegeben, bei dem die russischen Produzenten den Dünger ausgewählten afrikanischen Staaten spenden. Insgesamt handelt es sich um ungefähr 260.000 Tonnen. Sogar ihre Lieferung verzögert sich wegen der europäischen Blockaden; obwohl sie bereits im November beschlossen wurde, kommt die erste Teillieferung erst nächsten Monat in Malawi an.
Immer noch blockiert
Darüber hinaus werden weiterhin Düngemittellieferungen in wohl erheblichem Umfang durch die EU-Sanktionen verhindert. Wie Ende Dezember bekannt wurde, berichtet Andrej Melnitschenko, ein russischer Milliardär, der bis vor kurzem den Düngemittelhersteller Eurochem kontrollierte, mit ihren angeblichen Erleichterungen für Düngerlieferungen habe die EU zwar faktisch eingestanden, dass ihre Sanktionen mitverantwortlich für die aktuellen Probleme in der Nahrungsmittelversorgung seien. Allerdings verbesserten ihre Maßnahmen die Lage nicht wirklich, sie verkomplizierten sie sogar noch.[3] Demnach hat Eurochem weiterhin ernste Schwierigkeiten damit, seinen Handel mit Düngemitteln in Gang zu bekommen. Nicht geholfen hat, dass Melnitschenko, auf der Bloomberg-Milliardärsliste zur Zeit auf Rang 134, zwei Plätze hinter dem süddeutschen Schraubenmagnaten Reinhold Würth, seine Kontrolle über Eurochem an seine Ehefrau weitergegeben und sich selbst aller Form nach zurückgezogen hat: Die EU hat inzwischen auch seine Ehefrau mit Sanktionen belegt.[4] Damit ist Eurochem weiterhin kaum geschäftsfähig; die Düngemittelexporte kommen nicht vom Fleck.
Verlierer: Afrika
Um welche Größenordnung es sich bei den ausgebliebenen russischen Lieferungen handelt, lässt ein Blick auf die russische Exportstatistik des vergangenen Jahres erahnen. Demnach ging die Ausfuhr russischer Düngemittel sanktionsbedingt um rund 15 Prozent auf gut 31,6 Millionen Tonnen zurück.[5] Zwischenzeitlich war in Moskau mit noch deutlich größeren Ausfällen gerechnet worden; dies konnte verhindert werden. Grund dafür war etwa eine Steigerung der Düngemittelausfuhr nach Indien, die die Einbußen im Export in die Länder Europas beinahe ausgleichen konnte; sie war möglich, weil der russisch-indische Handel zunehmend ohne Rückgriff auf die westliche Finanz- und Transportbranche auskommt. Die Lieferungen in Länder des Nahen und Mittleren Ostens – Russland zählt auch die Türkei dazu – nahmen aus demselben Grund ebenfalls zu. Schlechte Karten hatten allerdings die in Sachen Finanz- und Transportinfrastruktur schlechter aufgestellten Staaten Afrikas. Hinzu kommt, dass riesige Mengen russischer Düngemittel und Rohstoffe in Frachtern in fremden Häfen festsaßen. Russische Stellen bezifferten die Menge im August auf sieben bis acht Millionen Tonnen.[6] Wieviel davon inzwischen freigestellt wurde, ist unbekannt.
Zweierlei Pipelines
Zusätzlich zu den Schiffs- sind auch russische Pipelinelieferungen von Ammoniak blockiert worden; Ammoniak ist ein wichtiger Ausgangsstoff für die Düngemittelproduktion. Er wird seit vielen Jahren unter anderem durch eine Pipeline aus der russischen Stadt Togliatti, wo mit Togliatti Azot einer der größten Ammoniakproduzenten der Welt ansässig ist, in die ukrainische Hafenstadt Odessa geleitet und dort verschifft. Die Ukraine stoppte die Nutzung der Pipeline unmittelbar am 24. Februar. Das ist deshalb bemerkenswert, weil Kiew den Erdgastransport aus Russland in die EU nicht unterbindet und weiter Transportgebühren aus Russland kassiert. Offenbar besteht aus ukrainischer Sicht ein Unterschied zwischen der EU und ihrem Erdgas- sowie ärmeren Staaten und ihrem Ammoniakbedarf; Letzterer gilt der ukrainischen Regierung wohl als weniger wichtig.[7] Die Vereinten Nationen bemühen sich, Kiew zur Freigabe der Pipeline zu bewegen, mussten entsprechende Verhandlungen aber Mitte Dezember ohne Angabe eines neuen Gesprächstermins vertagen.[8] Es geht um Mengen von bis zu 2,5 Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr.[9]
Hunger als Waffe
Dass nicht nur die EU, sondern insbesondere auch deutsche Politiker nicht zögern, Mittel zur Nahrungsproduktion und sogar Nahrung selbst als Druckmittel – im Sprachgebrauch Berlins: als Waffe – einzusetzen, zeigt eine Äußerung von Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der EU. Hofreiter äußerte Mitte Dezember zu der Frage, wie Berlin reagieren könne, sollte China einmal damit drohen, keine Seltenen Erden mehr zu liefern: „Wenn uns ein Land Seltene Erden vorenthalten würde, könnten wir entgegnen: ‘Was wollt ihr eigentlich essen?‘“[10] Damit ist die Option, in ernsten Handelskonflikten mit dem Aushungern zu drohen, auf dem Tisch.
Mehr zum Thema: Die Hungermacher (II).
[1] S. dazu Die Hungermacher (II).
[2] Christopher Nhlane: Russian fertilisers could arrive in Malawi February. mwnation.com 05.01.2023.
[3], [4] Victoria Fetcher: Russian billionaire calls on Africa to press EU for Fertilizer Snarl. canadatoday.news 28.12.2022.
[5], [6] Russian Fertilizer Producers Association reports 15-pct fall of exports in 2022. en.portnews.ru 29.12.2022.
[7] Guy Faulconbridge, Michelle Nicols: UN trying to get Russian ammonia to world through Ukraine. reuters.com 14.09.2022.
[8] UN-Generalsekretär: Das meiste exportierte Getreide ging an Entwicklungsländer. russland.news 19.12.2022.
[9] Guy Faulconbridge, Michelle Nicols: UN trying to get Russian ammonia to world through Ukraine. reuters.com 14.09.2022.
[10] Moritz Eichhorn: Anton Hofreiter: Entweder Nato-Mitgliedschaft für Ukraine oder 3200 Leopard-Panzer. berliner-zeitung.de 15.12.2022.
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Die Hungermacher (II)
EU räumt nach achtmonatiger Blockade Hindernisse für russische Düngemittellieferungen nach Afrika aus dem Weg. Dort führt die EU-Blockade bereits zur Zunahme von Hunger.
BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die EU räumt nach achtmonatiger Blockade Hindernisse für die Belieferung afrikanischer Staaten mit lebensnotwendigen russischen Düngemitteln aus dem Weg. Bereits in diesem Jahr ist die globale Getreideernte laut UN-Angaben um 2,4 Prozent zurückgegangen, weil nicht genügend Dünger zur Verfügung stand; für das nächste Jahr werden erheblich größere Einbrüche von bis zu 20 Prozent erwartet. Hauptursache ist, dass wegen der EU-Sanktionen russische Düngemittel – Russland ist einer der größten Düngerproduzenten weltweit – nicht mehr an die Länder Afrikas geliefert werden konnten. Die EU hat das öffentlich stets abgestritten, nun aber implizit ihre Schuld eingeräumt: Mit den bisherigen Sanktionen behindere man Düngerlieferungen nach Afrika, hieß es vor dem am Donnerstag gefällten Beschluss, die Sanktionsregeln zu ändern. Künftig steht es EU-Staaten frei, Strafmaßnahmen gegen mehrere russische Milliardäre abzuschwächen, wenn dies der Ermöglichung russischer Düngemittelexporte in afrikanische Länder dient. Massiv dagegen gewehrt hatten sich Polen und die baltischen Staaten, die dem Kampf gegen Russland Vorrang vor dem Kampf gegen Hunger in Afrika einräumten.
Widersprüchliche Sanktionen
Die EU-Sanktionen, die russische Düngemittelexporte treffen, ruhen auf zwei Säulen. Die eine richtet sich gegen die gesamte Branche. In ihrem fünften Sanktionspaket gegen Russland vom 8. April erklärte die Union den Import russischer Düngemittel in die EU pauschal für unzulässig.[1] Dies galt – darauf wurde in Brüssel in den folgenden Monaten immer wieder hingewiesen – rein formal nicht für Lieferungen in Drittstaaten, zum Beispiel in Afrika. Doch scheiterten auch solche Lieferungen regelmäßig daran, dass die EU-Sanktionen gegen die russische Transport- und Finanzbranche ihnen jede logistische bzw. finanztechnische Basis entzogen. Am 10. August publizierte die EU eine Klarstellung, aus der hervorging, jede Düngemittellieferung – auch alle in Nicht-EU-Staaten – breche EU-Sanktionen. Am 19. September korrigierte Brüssel das dahingehend, dass Düngerlieferungen in Nicht-EU-Staaten nun doch zulässig seien. Am 7. Oktober ergänzte die EU, dies gelte von jetzt an auch dann, wenn die Lieferungen über EU-Territorium erfolgten, so zum Beispiel über europäische Häfen.[2] Die widersprüchlichen, oft undurchsichtigen Regeln schufen, äußerst typisch für westliche Sanktionsregime, eine erhebliche Unsicherheit. Die Folge: Düngemittellieferungen auch an Nicht-EU-Staaten unterblieben weiterhin.
Unsicherheit als Hinderungsgrund
Dies lag auch daran, dass eine zweite Säule des Sanktionsregimes zumindest Verunsicherung schuf: personenbezogene Sanktionen. Sie trafen bereits am 9. März unter anderem Dmitri Mazepin, einen russischen Milliardär, der die Mehrheit an Uralchem hielt, einem der größten Ammoniakhersteller weltweit.[3] Ammoniak ist ein bedeutender Grundstoff für Düngemittel. Zwar gab Mazepin noch im März seine Mehrheit an Uralchem auf und reduzierte seine Anteile auf 48 Prozent. Die Ungewissheit, ob dies genüge, um straflos größere Geschäfte mit Uralchem zu machen, blieb allerdings. In der vergangenen Woche berichtete Mazepin der Financial Times, obwohl Uralchem und weitere russische Ammoniak- bzw. Düngerhersteller rein formal keinen Sanktionen unterlägen, gebe es dennoch stets zum Beispiel Rechtsanwälte bei Banken in Europa, die wegen der Ungewissheit vor der Aufnahme von Geschäften mit den betroffenen russischen Firmen warnten. „Wir können“, klagte Mazepin, „nicht einmal für den Transport zahlen, wenn es um humanitäre Fracht geht, die Afrika kostenlos zur Verfügung gestellt wird“.[4] Gegen russische Milliardäre hingegen, auf deren Firmen sie angewiesen ist, hat die EU bislang keine Sanktionen verhängt; das gilt etwa für Wladimir Potanin, dessen Firma Norilsk Nickel 15 Prozent des global genutzten Nickels und 40 Prozent des Palladiums produziert: Beide Rohstoffe benötigt die EU selbst.[5] Auf Mazepins Ammoniak aber kann sie – anders als die Staaten Afrikas – verzichten.
Vom Dünger- zum Nahrungsmangel
Vor allem in Afrika wird seit dem Frühjahr erheblicher Unmut über die Sanktionspraktiken der EU laut. Am 24. Mai etwa beschwerte sich Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz, sogar Länder, die – wie die afrikanischen Staaten – nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun hätten, litten massiv unter den Russland-Sanktionen.[6] Bereits Anfang August warnte die African Development Bank, auf dem Kontinent fehlten inzwischen rund zwei Millionen Tonnen Düngemittel; Experten äußerten, das könne die afrikanische Agrarproduktion um gut und gern 20 Prozent oder mehr einbrechen lassen (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) ist in den 82 Ländern, in denen es aktiv ist – darunter zahlreiche afrikanische Staaten –, die Zahl der Menschen, die unter akuter Nahrungsmittelunsicherheit leiden, durch den Ukraine-Krieg und durch die westlichen Sanktionen schon jetzt um gut 70 Millionen in die Höhe geschnellt.[8] Branchenexperten gehen davon aus, dass der Düngermangel bereits die Ernte dieses Jahres um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr schrumpfen lässt.[9] Dabei wirkt sich Düngermangel gewöhnlich erst mit größerer Verzögerung in vollem Umfang auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus.
Erste Durchbrüche der UN
Entsprechend sind die Vereinten Nationen bereits seit dem Frühjahr mit aller Kraft bemüht, die EU zur realen Befreiung russischen Düngers von ihren Sanktionen zu bewegen. Der am 22. Juli unter Vermittlung der Türkei geschlossene Deal, der den Getreideexport der Ukraine über das Schwarze Meer wieder ermöglichte, verpflichtete die EU zwar offiziell, den Export russischen Düngers zuzulassen. Brüssel verschanzte sich aber weiter hinter der Behauptung, formal bestünden keinerlei einschlägige Sanktionen, und weigerte sich, auch die realen Voraussetzungen für Düngemittellieferungen zu schaffen. Ein erster Durchbruch gelang den Vereinten Nationen, als sie am 11. November Verhandlungsfortschritte vermelden konnten. Am 12. November gab Uralchem dann bekannt, 260.000 Tonnen Düngemittel spenden zu wollen. Es handelte sich um Volumina, die EU-Staaten seit Monaten in ihren Häfen blockierten. Nach weiteren Verzögerungen gelang es im November zunächst, ein Schiff mit 20.000 Tonnen Düngemitteln in Rotterdam freizubekommen; es brach schließlich auf, um über Häfen in Mosambik Malawi zu beliefern.[10] Noch immer sperren sich EU-Länder allerdings, russischen Dünger freizugeben. Lettland etwa teilte vergangene Woche mit, man sei allenfalls dann bereit, in Riga festgehaltene Uralchem-Ladungen – 200.000 Tonnen Dünger – freizugeben, wenn garantiert sei, dass der Konzern daran keinen Cent verdiene.[11]
Die EU unter Druck
Mittlerweile ist die EU mit ihrer Düngemittelblockade, die insbesondere in Ländern Afrikas den Hunger verschärft, international unter so starken Druck geraten, dass sie sich zu gewissen Reaktionen veranlasst sieht. So hat sie, vor allem auf Initiative westeuropäischer Mitglieder, ihre Sanktionen gegen sechs russische Milliardäre abgeschwächt; EU-Staaten können deren eingefrorene Guthaben künftig wieder zugänglich machen, sofern ihnen das nötig scheint, um – zwecks Vermeidung von Hungersnöten – Düngemittellieferungen zu ermöglichen. Zu den sechs Milliardären gehört Ex-Uralchem-Mehrheitsbesitzer Mazepin.[12] Erbittert Widerstand gegen die Erleichterungen hatten Polen und die baltischen Staaten geleistet; der Kampf gegen Russland müsse Vorrang vor der Versorgung Afrikas haben, hieß es. Die Kursänderung in den westeuropäischen EU-Staaten ist offenbar durch die Erkenntnis veranlasst worden, man laufe Gefahr, den afrikanischen Kontinent mit fortgesetzter Sanktionspolitik zu Lasten Dritter endgültig zu verlieren: Von den 35 Staaten, die sich im Oktober in der Abstimmung der UN-Generalversammlung über eine Verurteilung der russischen Annexionspolitik enthalten hätten, seien fast die Hälfte Staaten aus Afrika gewesen, hieß es zur Begründung.[13] Um sie zurückzugewinnen, ist die EU offenbar zu Zugeständnissen bereit. Dabei ist noch ungewiss, ob die Zugeständnisse tatsächlich die Wiederaufnahme sämtlicher Düngemittellieferungen ermöglichen oder ob sich neue Wege finden, sie erneut zu blockieren.
[1] EU adopts fifth round of sanctions against Russia over its military aggression against Ukraine. consilium.europa.eu 08.04.2022.
[2] EU sanctions – latest updated FAQs on the carriage of certain Russian cargoes including coal and fertilisers. standard-club.com 07.11.2022.
[3] Eleni Varvitsioti, Henry Foy, Valentina Pop: EU adds 14 more Russian business chiefs to its sanctions list. ft.com 09.03.2022.
[4] Polina Ivanova: Russian fertiliser billionaire pushes for ammonia exports. ft.com 13.12.2022.
[5] Katharina Wagner: Der Oligarch ohne Sanktionen. faz.net 31.05.2022.
[6] Ramaphosa: Russia sanctions hurt ’bystander’ countries. businesslive.co.za 25.05.2022.
[7] S. dazu Die Hungermacher.
[8], [9] Sam Fleming, Andy Bounds: Member states press EU to amend sanctions to unblock Russian food shipments. ft.com 07.12.2022.
[10] How a donation of fertilizers for countries in Africa comes not a minute to soon. wfp.org 09.12.2022.
[11] Russian mineral fertilizers released following request from Guterres. bnn-news.com 12.12.2022.
[12] Andrew Rettman: Russian fertiliser kings to get EU sanctions relief. euobserver.com 16.12.2022.
[13] Sam Fleming, Andy Bounds: Member states press EU to amend sanctions to unblock Russian food shipments. ft.com 07.12.2022.
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Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9031
Die Hungermacher
Berlin ignoriert Warnungen der UNO, die westliche Sanktionspolitik führe zu Düngermangel und, zeitlich etwas verzögert, zur dramatischen Zuspitzung der globalen Ernährungskrise.
22.9.2022
BERLIN/NEW YORK (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung ignoriert Warnungen der Vereinten Nationen, die westliche Sanktionspolitik könne zu krassem Düngermangel führen und die globale Ernährungskrise schon bald eskalieren lassen. Ursache ist zum einen, dass die Sanktionen etwa gegen den russischen Finanz- und den Transportsektor den Düngerexport nach wie vor massiv behindern. Russland und Belarus stellten vor dem Krieg rund 20 Prozent aller Düngemittel weltweit her. Hinzu kommt, dass die wegen der Embargopolitik dramatisch in die Höhe geschossenen Erdgaspreise die Düngemittelproduktion weltweit gravierend verteuern; die Zahl der Fabriken, die daher die Produktion einstellen müssen, nimmt auch in Europa zu. Während europäische Landwirte sich auf eskalierende Kosten einstellen müssen, ihren Bedarf aber notfalls durch teure Zukäufe im Ausland decken können, fehlt diese Option in ärmeren Staaten etwa in Afrika. Dort könnte die Produktion von Nahrungsmitteln alleine wegen Düngermangels um mehr als ein Fünftel kollabieren. UN-Generalsekretär António Guterres hat am Dienstag zum wiederholten Mal vor den Konsequenzen gewarnt. Berlin stört sich nicht daran und hält an den Sanktionen fest.