Warum gerade Israel? Von Moshe Zuckermann (13.9.2025)

„[…] Aber war die an Israel adressierte Erwartung überhaupt gerechtfertigt? War Israel für das universelle Opfer-Gedenken überhaupt prädestiniert? Zum einen sollte diese Frage bejaht werden, wenn man das oben Dargelegte ernst nimmt. Der Staat Israel selbst zelebrierte sich als Träger dieser welthistorischen Funktion. Zum anderen lag aber gerade darin das Absurde, und zwar nicht nur, weil der Staat Israel die Shoah-Erinnerung fremdbestimmt instrumentalisierend in seine nationale politische Kultur integrierte, sondern weil bereits die Staatsgründung Israels selbst sich auf dem Rücken der Palästinenser vollzog, und das Paradigma des zionistischen Verhältnisses zu ihnen sich historisch in der gewalttätigen Nakba des 1948er Krieges manifestierte. Was dann folgte – von dem gegen die in Israel verbliebenen Palästinensern etablierten Militärverwaltung der 1950-60er Jahre, über die bald 60 Jahre währende, gewaltdurchwirkte Okkupation der im 1967er Krieg eroberten Gebiete, bis hin zu den monströsen Auswüchsen des gegenwärtigen Gaza-Krieges – muss als permanente Manifestation des letal-repressiven Verhältnisses des zionistischen Israel den Palästinensern gegenüber gesehen werden.

Es geht dabei nicht nur um die Absage an das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und der damit einhergehenden dezidierten Verhinderung der Errichtung eines Palästinenserstaates, sondern auch um die fortwährende Verachtung, Erniedrigung und Entmenschlichung jener, die man von Anbeginn zu Opfern hat werden lassen. Die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen dem Mythos des das Shoah-Gedenken tragenden jüdischen Staates, an den viele in der Welt nach Auschwitz zu glauben geneigt waren, und der Realität eines nunmehr des Genozids verdächtigen Staat Israel ist es, warum man gerade die israelische Barbarei vor vielen anderen Barbareien in der Welt ins Visier nimmt und mit Emphase kritisch bekämpft. Israel hat etwas enttäuscht, das nach Auschwitz für selbstverständlich erachtet werden sollte, sich aber im Nachhinein als eine fatale Chimäre erwiesen hat.“

Warum gerade Israel?

Warum wird gerade Israel wegen seines Krieges gegen die Palästinenser in Gaza angegriffen? Die Antwort darauf geht über das Naheliegende hinaus.

Von Moshe Zuckermann

13.9.2025

Israelische Apologeten des Gazakrieges und solidarische Anhänger des zionstischen Staates in der Welt befleißigen sich der Verwendung des Whataboutism, wenn sie der Kritik an dem an Kriegsverbrechen mittlerweile überreichen Krieg, dem man sogar schon genozidale Züge beimisst, mit der Frage begegnen: Warum wird gerade Israel mit solcher Emphase und Intensität des Verbrechens angeklagt? Kollateralschäden seien doch bei großen Kriegen keine außergewöhnliche Erscheinung. In der Geschichte habe man sie schon immer und besonders im modernen Zeitalter beobachten können. Zivilisten seien stets in Kriegen umgekommen, aber nie zum Gegenstand solch aggressiver Debatten herangewachsen, die dem jeweiligen Land die Legitimität seiner Kriegsführung (ja seiner Legitimität überhaupt) streitig machen.

Warum gerade Israel? – wird in rhetorischer Absicht gefragt, um dann die prästabilisierte Antwort zu liefern: Es handle sich um Antisemitismus! Das altbewährte Argument der israelischen Hasbara, die stets darum bemüht ist, jegliche Kritik an der Politik des zionistischen Staates im Brustton der moralischen Entrüstung abzuschmettern, wird herangezogen, nicht zuletzt, weil es sich mit der Shoah in Verbindung setzen lässt. Das Shoah-Andenken fungiert bekanntlich jahrzehntelang als unantastbares Argument. Nicht von ungefähr hat Israel dafür gesorgt, dass in der IHRA-Definition des Antisemitismus auch Israelkritik einbezogen wird, damit man diese mit der Tabu-Keule erschlagen kann. Man hütet sich, Israel zu kritisieren, damit man nicht in den Antisemitismusverdacht gerät. Die Instrumentalisierung der Shoah-Erinnerung zu fremdbestimmten Zwecken bildet ja seit jeher die Grundlage der israelischen Auslandspolitik und Diplomatie.

Weiterlesen: https://overton-magazin.de/top-story/warum-gerade-israel/

PDF: MZ13.9.2025

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Siehe auch:

Wonnen der Normalisierung

Je katastrophaler sich Israels Realität gestaltet und strukturiert, desto intensiver verbreitet sich das Muster der Normalisierung all dessen, was im Staat nicht mehr stimmt.

Von Moshe Zuckermann

30.8.2025

https://afsaneyebahar.com/2025/08/30/20704826/

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Tagebuch aus Gaza

Der Bericht einer Kinderpsychologin über Verlust, Traumata und Hoffnung

Von Katrin Glatz Brubakk

September 2025

https://afsaneyebahar.com/2025/09/09/20704923/

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Genozid in Gaza

Israels langer Krieg gegen Palästina

Von Avi Shlaim

Mit einem Vorwort der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas Francesca Albanese

August 2025

https://afsaneyebahar.com/2025/08/17/20704675/

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Die DNA des US-Kapitalismus

Ein Vortrag von Werner Rügemer

4.9.2025

https://afsaneyebahar.com/2025/09/13/20704944/

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