Hybris und Nemesis. Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren. Von Rainer Mausfeld

Buchempfehlung:

Hybris und Nemesis

Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren

Von Rainer Mausfeld

512 Seiten

Erste Auflage November 2023, Westend Verlag GmbH, Neu-Isenburg

ISBN: 978-3-86489-407-7

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1.

„Uns bleibt wohl nicht mehr viel Zeit. Entweder beginnen wir angesichts des zivilisatorischen Abgrunds, in den uns die Entzivilisierung von Macht zu führen droht, entschlossen nach Höhlenausgängen aus dem ideologischen Gewölbe zu suchen und geeignete demokratische Schutzbalken gegen entfesselte Macht zu errichten. Oder wir finden uns mit dem Status quo gegebener Machtverhältnisse ab, schweigen weiter wie bisher und überlassen es nachfolgenden Generationen, über die Gründe unseres Nicht-Handelns und über die Gründe unseres Schweigens nachzudenken. Die Entscheidung liegt bei uns.“

2.

Vorstellung des Buches und des Autors durch den Westend Verlag

https://www.buchkomplizen.de/hybris-und-nemesis.html?listtype=search&searchparam=hybris

Die Risiken und Gefahren der militärischen und ökologischen Zerstörung sind heute so groß, dass sie die menschliche Zivilisation schlechthin bedrohen. Die Herausforderung eine gute, lebenswerte und wohlgeordnete Weltgemeinschaft herzustellen, stellt sich heute drängender denn je. Doch das einzige Mittel, auf das sich eine Hoffnung gründen lässt, steht uns heute de facto nicht mehr zur Verfügung: die Demokratie. Der Kognitionspsychologe Rainer Mausfeld argumentiert, dass Demokratie zu einer leeren Worthülse geworden ist: War Demokratie einst ein Instrument zur Einhegung von Elitenverkommenheit, wurde uns die zivilisatorische Leitidee von Demokratie enteignet, verfälscht und in ihr Gegenteil verkehrt: in die Herrschaft von Eliten. In einem großen Bogen zeigt Mausfeld auf, wie es zu dieser verheerenden Entwicklung kommen konnte und was wir tun müssen, um dem zivilisatorischen Abgrund zu entkommen. Dabei reicht seine Analyse bis zurück in die Antike: Wir müssen nicht weniger als Recht und Scham wiederentdecken, zwei Affekte, die essentiell mit der wahren Idee von Demokratie verbunden sind.

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Rainer Mausfeld ist Professor an der Universität Kiel und hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung inne. In seinen gesellschaftspolitischen Beiträgen beschäftigt er sich mit der neoliberalen Ideologie, der Umwandlung der Demokratie in einen autoritären Sicherheitsstaat und psychologischen Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements. Mit seinen Vorträgen (u.a. Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert? und Die Angst der Machteliten vor dem Volk) erreicht er Hunderttausende von Zuhörern. Im Westend Verlag erschienen zuletzt seine Bestseller Warum schweigen die Lämmer? (2018), Angst und Macht (2019) und TamTam und Tabu (gemeinsam mit Daniela Dahn, 2020).

 

3.

Werte Leserinnen und Leser,

vielleicht fragen Sie sich, was mich dazu bewegt hat, mitten im Ukraine-Krieg, der zu einem atomaren Inferno führen kann und mitten im laufenden Völkermord in Palästina, der das wahre Gesicht sowie die fatale Heuchelei der „regelbasierten Weltordnung“ zeigt, die Lektüre eines über 500 Seiten umfassenden Buches zu empfehlen. Die Antwort ist einfach und eindeutig: Der von den parasitären Mächtigen bewusst herbeigeführte kollektive Gedächtnisschwund macht die Pflege der Erinnerung zu einem lebensnotwendigen Instrument, um die gegenwärtige Situation ganzheitlich – das heißt in einem wesentlich größeren Betrachtungsrahmen – zu begreifen. Nur so können bereits gemachte Denk- und Verhaltensfehler berücksichtigt und wirkmächtige Lösungen zur Behebung der Misere gefunden werden.

Bei dem empfohlenen Buch handelt es sich wahrhaftig um ein umfassendes Nachschlagwerk, das fundiert und ohne abgehobene Auslassungen beschreibt, wie sich die jetzige bedrückende sozialpolitische Situation im Rahmen der kapitalistischen Entwicklung herausgebildet hat. Gleichzeitig zeigt es Auswege aus der gegenwärtigen katastrophalen Lage und plädiert dafür, das möglicherweise entstehende Gefühl der Hoffnungslosigkeit in eine emanzipatorische Veränderungsenergie zu verwandeln.

Wenn Sie sich mit dem Inhalt des Buches audiovisuell vertraut machen wollen, stehen Ihnen die folgenden Vorträge von Rainer Mausfeld zur Verfügung (letzter Abruf am 17.7.2024):

  • Demokratie am Abgrund?

13.3.2024

https://www.youtube.com/watch?v=v3uHUim97l8

  • Was ist und wozu dient Demokratie?

12.06.2024

https://www.youtube.com/watch?v=jSkbe-SzIgY

Mit freundlicher Genehmigung des Westend Verlags werden nachfolgend längere Auszüge aus dem Kapitel „Epilog. Demokratie oder zivilisatorischer Abgrund“ präsentiert.

Seite 461:

„[…] Die Zivilisierung von Macht besteht stets darin, dem Recht des Stärkeren die Anerkennung zu entziehen und es durch ein Recht der Gleichen zu ersetzen – ein Gedankengang, der schließlich in der zivilisatorischen Leitidee der Demokratie seinen Höhepunkt fand. Diese Leitidee wird aus nahe- liegenden Gründen seit ihren Anfängen von denjenigen, die über großen Reichtum und große Macht verfügen (oder darüber verfügen wollen), als ihr ärgster und gefährlichster Feind angesehen. Daran hat sich auch in der Gegenwart nichts geändert, auch wenn sich heute diese Feindschaft mit der Maske eines Demokratiepathos zu verhüllen sucht. Das Recht des Stärkeren ist und bleibt das, wenn auch zumeist unausgesprochene, Leitregulativ derjenigen, die für sich große Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen suchen. Es tritt jedoch heute nicht mehr mit seinem wahren Gesicht roher Macht auf, sondern verbirgt sich hinter dem Unterfangen, das Recht selbst, das gerade zum Schutz der Schwächeren vor den Stärkeren entwickelt wurde, für Machtzwecke zu usurpieren und das Bewusstsein der Machtunterworfenen in einer Weise zu manipulieren, dass sie, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, ein Recht des Stärkeren dulden oder ihm sogar ihre Zustimmung geben. […]“

Seite 462 – 463:

„[…] Es liegt in der Funktionslogik der Macht, dass sie alle machtrelevanten Diskurse zu usurpieren sucht, den Gerechtigkeitsdiskurs, den Rechtsdiskurs, den Freiheitsdiskurs, den Diskurs über Wahrheit und Lüge, den Diskurs über die Wahrnehmung und Interpretation gesellschaftlicher Realitäten und sogar den Diskurs über gesellschaftliche Diskurse, also über die Zulässigkeit und die Grenzen von Kritik. Dadurch hat sie es vermocht, auch den Demokratie-Diskurs zu usurpieren, die Bedeutung dieses Wortes in ihr Gegenteil zu verkehren und auf diese Weise die Demokratie von einem Instrument der Machtkontrolle in ein Herrschaftsinstrument zu verwandeln. Mit der Aushöhlung und Bedeutungsumkehrung des ursprünglichen Konzeptes von Demokratie ist das bedeutendste und wirkungsvollste gesellschaftliche Instrument, mit dem sich eine Entgrenzung und Entzivilisierung von Macht verhindern lässt, stumpf gemacht worden. Macht konnte sich auf diese Weise entgrenzen und von einer demokratischen Konsensbildung lösen. Da zugleich die globalen Hebelwirkungen gesellschaftlicher, ökologischer und militärischer Zerstörungskräfte immer größer werden, wird mit der Zerstörung der Demokratie der Weg in den zivilisatorischen Abgrund gebahnt.

Unsere vordringlichste Aufgabe ist somit, für ein Erfassen der existentiellen Bedrohungen der Gegenwart überhaupt erst die richtigen Worte zu finden. Ohne geeignete Konzepte und Denkrahmen, in denen sich diese Entwicklungen angemessen beschreiben und in ihren Kausalitäten erklären lassen, können Handlungsvorschläge nicht an den eigentlichen Wurzeln dieser Bedrohungen ansetzen. Vor jeder Therapie muss die Diagnose stehen, und vor jedem planmäßigen Handeln ein Verstehen. Wenn die für den gegenwärtigen Zustand Verantwortlichen es schaffen, uns dazu zu bringen, die falschen Fragen zu stellen, brauchen sie sich über unsere Antworten keine Sorgen zu machen.

Eine Suche nach den richtigen Worten wird uns unweigerlich zu den tieferen Ursachen dieser Bedrohungen führen. Wir müssen uns zunächst sehr grundsätzlich fragen, in welcher Gesellschaft wir gegenwärtig leben und in welcher wir leben wollen. Denn es spricht viel dafür, dass die eigentlichen Probleme gerade in dem Normalzustand einer Lebensform liegen, die sich längst mit massiven Freiheitseinschränkungen, kapitalistischer Ausbeutung oder der Zerstörung gesellschaftlicher und ökologischer Substanz konsumistisch versöhnt hat. Die dadurch ideologisch erzeugte Blickverengung hat Folgen für das gesamte psychische Gefüge; sie hat das gesamte Denken und Fühlen konsumistisch verengt und verformt. Ein nüchterner Blick auf elementare gesellschaftliche Tatsachen und auf grundlegende gesellschaftliche Kausalitäten ist kaum mehr möglich. Nie zuvor war die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Realitäten, sei es innergesellschaftlich wie auf globaler Ebene, und den medial vermittelten ›Realitäten‹ so groß wie in der Gegenwart. Nie zuvor war der dadurch erzeugte Realitätsverlust für unsere Gesellschaft und für die menschliche Zivilisation als Ganze so bedrohlich wie heute. Damit ist auch der Blick auf Lösungsmöglichkeiten verstellt. Innerhalb eines abgeschlossenen ideologischen Gewölbes wird es keine wirksamen Lösungsvorschläge geben können, denn diese müssten das Gewölbe selbst aufbrechen und sein Fundament untergraben. Lösungen der drängendsten gegenwärtigen Probleme und der existentiellen Bedrohungen liegen weit außerhalb der Grenzen des durch den gegenwärtigen ideologischen Konformismus als ›vernünftig‹ und ›rational‹ deklarierten öffentlichen Debattenraumes. Angemessene Lösungsoptionen können erst erkennbar werden, wenn wieder ein Außenstandpunkt gewonnen werden kann. Dafür können Einsichten aus der Zivilisationsgeschichte und aus der jüngeren Geschichte emanzipatorischer Bewegungen dienlich sein. […]“

Seite 467- 468:

„[…] Zugleich wird es bei der Erfassung der Wirklichkeit stets eine Pluralität der Weltbeschreibungen und der Weisen des Weltverstehens geben. Dies gerade ist Ausdruck der im menschlichen Geist angelegten Kapazität zu einer unerschöpflichen Multiperspektivität. Die Leitidee der Demokratie bietet zur gesellschaftlichen Bewältigung der damit verbundenen Pluralität egalitäre Prozeduren kollektiver Entscheidungsfindung an. Die vordringliche Aufgabe – sowohl auf individueller wie auf kollektiver gesellschaftlicher Ebene – ist es daher, wieder den Mut zu finden, gegenüber der Macht kompromisslos auszusprechen, »was ist«. Erst wenn elementare gesellschaftliche Tatsachen und elementare gesellschaftliche Wahrheiten ausgesprochen werden können, eröffnen sich auch Ausgänge aus dem ideologischen Gewölbe. Dazu bedarf es nicht mehr als eines Entschlusses, denn jeder kann dazu im eigenen Alltag und im eigenen Lebens- und Wirkungsbereich nach seinen eigenen Möglichkeiten beitragen.

Dies kann freilich nur der Anfang für eine vielfach größere kollektive Herausforderung und Aufgabe sein. Um kollektive Wege zu einem Höhlenausgang finden und freilegen zu können, bedarf es einer gesellschaftlichen Atmosphäre, die statt durch ideologische Konformität und durch Hass auf den Andersdenkenden durch ein neugieriges Erkunden eines Andersdenken können des Bestehenden und eine Freude an der Vielfalt unterschiedlicher Weisen des Welterlebens und Weltverstehens gekennzeichnet ist. Es bedarf einer Gesellschaft, die durch eine integrale Einbettung aller in eine solidarische Gemeinschaft bestimmt ist, statt politische und moralische Gleichgültigkeit, soziale Atomisierung, psychische Fragmentierung und Entfremdung von sich selbst und von anderen zu erzeugen. Kurz: Es bedarf gesellschaftlicher Bedingungen, die Lebensformen hervorbringen, in denen sich das schöpferische und soziale Potential des Menschen frei entfalten kann – also all das, was erst den Menschen zum Menschen und die Gesellschaft zu einer menschenwürdigen Gesellschaft macht. […]“

Seite 470 – 471:

„[…] Eigene Widerstände rühren daher, dass aufkeimende Einsichten in die eigentlichen Ursachen gegenwärtiger gesellschaftlicher Bedrohungen das Fundament der eigenen Lebensweisen erschüttern könnten. Das dadurch erzeugte Gefühl der Verunsicherung löst zwangsläufig Ängste aus, die wiederum die Bindung an den Status quo erhöhen. Das ist ein Teufelskreis bei dem eigenen Bemühen, gesellschaftliche Kausalitäten zu erkennen. Er kann nur durch ein Aufgehobensein und eine mit ihm verbundene Angstreduktion in einer solidarischen Gemeinschaft durchbrochen werden. Für den sozial atomisierten Einzelnen ist dieser Teufelskreis nicht zu durchbrechen. Und genau aus diesem Grund ist das Erzeugen von gesellschaftlichen Spaltungen und sozialer Atomisierung eine der wirksamsten Herrschaftstechniken.

Dass bereits ein rückhaltloses Aussprechen dessen, was ist, auf vehementen Widerstand der Verteidiger und Nutznießer des Status quo stoßen wird, liegt in der Natur der Sache und ist aus historischen Erfahrungen im Überfluss bekannt. Dennoch vermögen die Feindseligkeit und Bösartigkeit dieser Reaktionen – und eben genau darin liegt ihr Ziel – Ängste auszulösen, die wiederum zu einer Stabilisierung  des ideologischen Gewölbes beitragen. Denn die Befolgung der Lassalle-Luxemburgschen Devise wird keineswegs einen zivilisierten Diskurs auslösen. Im Gegenteil: Argumente werden ohnehin von den Verteidigern des Status quo ignoriert werden. Denn sie benötigen keine Argumente. Für sie sind die Realitäten gegebener Machtverhältnisse Argument genug. Sie verfügen über die ideologische Macht, Reflexion durch Reflex ersetzen zu können. Und zwar durch den starren Abwehrreflex aller Status-quo-Verteidiger. Sie können in der unerschütterlichen Selbstgewissheit ihrer faktischen Überlegenheit das Recht des Stärkeren geltend machen. Sie können darauf verweisen, dass die herrschenden Machtverhältnisse, deren Nutznießer sie sind, schon allein durch ihre Existenz bewiesen hätten, dass sie vernünftig seien und »die beste aller möglichen Welten« darstellten. Mögen heute auch die zerstörerischen Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft und ihre Lebensgrundlagen bedrohlicher sein denn je, so werden die Verteidiger gegenwärtiger Machtverhältnisse, noch während sie in den Abgrund stürzen, mit höchster Selbstgewissheit ihrer Überzeugung Ausdruck geben, dass die Entzivilisierung von Macht tatsächlich die höchste Form ihrer Zivilisierung sei. Sie sind fanatische Überzeugungstäter. […]“

Seite 473 – 475:

„[…] Emanzipatorische Bewegungen zielen darauf, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Solche Bemühungen sind zwangsläufig mit härtesten Abwehrreaktionen konfrontiert, die zu bewältigen besondere Antriebskräfte erfordert. Emanzipatorische Bewegungen sind daher stets von einer großen Hoffnungskraft angetrieben und getragen. Der anarchistische Dichter Percy Bysshe Shelley (1792–1822) hat 1820 in seinem Revolutionsdrama Prometheus Unbound dieser Hoffnungskraft, »der Macht zu trotzen, die allmächtig scheint«, in dem Vers Ausdruck verliehen, »hoffen, bis der Hoffnung Kraft aus ihren Trümmern das Ersehnte schafft«.

Die Zivilisationsgeschichte legt vielfaches Zeugnis dafür ab, dass dies, in oftmals bewundernswürdiger Weise, immer wieder gelang. Die durch die Entzivilisierung von Macht hervorgebrachten gewaltigen existentiellen Bedrohungen der Gegenwart begrenzen freilich sehr hart die Möglichkeiten, aus Zivilisationsbrüchen lernen und aus den Ruinen der Hoffnung wieder Neues schaffen zu können. Denn wir sind heute mit einem Problem konfrontiert, das in seiner Art gänzlich neu ist und für das es bislang keine Erfahrungsbasis gibt und auch keine Erfahrungsbasis geben kann: Wir müssen in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne Bedrohungen bewältigen, die in ihrem Ausmaß und ihrer Reichweite dergestalt sind, dass nach einer Zerstörung der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, ein kollektives Lernen aus dem Erlittenen wohl kaum mehr möglich sein wird. Und die daher nur ein einziges Mal die Chance bieten, die Bedrohung bereits vor ihrem Eintreten zu bewältigen. Darin unterscheidet sich die heutige Situation von allen vergangenen.

In der Geschichte der menschlichen Gattung sind viele Zivilisationen zusammengebrochen und untergegangen, ohne dass damit die Zivilisationsgeschichte des Menschen als Gattung insgesamt bedroht gewesen wäre. Stets gab es Möglichkeiten zu einem Lernen aus den erlittenen Erfahrungen. Die aus geschichtlichen Erfahrungen bekannten Zyklen von Zivilisierung und Entzivilisierung von Macht gaben auch nach Zivilisationsbrüchen immer wieder Zuversicht, dass letztlich ein emanzipatorischer Fortschritt möglich. Heute hat uns eine Entzivilisierung von Macht so nah an den globalen zivilisatorischen Abgrund geführt wie nie zuvor in der Geschichte. Heute können wir nicht mehr wie bisher darauf vertrauen, nach dem nächsten Blick in den Abgrund weitere Chancen auf ein kollektives Lernen aus einer solchen Erfahrung zu haben. Die alte Strategie, die gewaltigen psychischen und gesellschaftlichen – und damit auch ökologischen Folgekosten einer kapitalistischen Gesellschaftsform späteren Generationen aufzubürden, ist an ihre natürlichen Grenzen gekommen.

Uns bleibt wohl nicht mehr viel Zeit. Entweder beginnen wir angesichts des zivilisatorischen Abgrunds, in den uns die Entzivilisierung von Macht zu führen droht, entschlossen nach Höhlenausgängen aus dem ideologischen Gewölbe zu suchen und geeignete demokratische Schutzbalken gegen entfesselte Macht zu errichten. Oder wir finden uns mit dem Status quo gegebener Machtverhältnisse ab, schweigen weiter wie bisher und überlassen es nachfolgenden Generationen, über die Gründe unseres Nicht-Handelns und über die Gründe unseres Schweigens nachzudenken. Die Entscheidung liegt bei uns.“

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PDF: RM17.7.2024