Mahatma Gandhi, die Juden und der Zionismus

Mahatma Gandhi, die Juden und der Zionismus

10.11.2023

„In den letzten rund 120 Jahren, speziell hier in (Mittel-) Europa, erfolgten die größten Menschheitsverbrechen nicht in zivilem Ungehorsam, sondern in zivilem Gehorsam!

Michael Hüter (1)

Die zunehmenden weltweiten katastrophalen kriegerischen Auseinandersetzungen und die rasante Militarisierung des Denkens und Handelns in Deutschland machen es dringend erforderlich, dass wir einfache, richtungsweisende Tatsachen in unserem privaten und gesellschaftlichen Alltag besser würdigen: Die Ereignisse der Gegenwart können wir nicht umfassend begreifen und behandeln, wenn wir die entsprechenden Daten aus der Vergangenheit nicht berücksichtigen. Und die Zukunft können wir nicht sinnvoll planen, solange wir die Gegenwart nicht richtig begriffen haben.

In seinem Buch „Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus“ (2) schreibt Ilan Pappé (3) einleitend:

„Jeder Versuch zur Lösung eines Konfliktes muss sich zu allererst mit dessen Kern auseinandersetzen und dieser Kern findet sich meistens in seiner Geschichte. Eine verfälschte oder manipulierte Geschichte erklärt oft gut, warum ein Konflikt nicht beendet wurde, während eine wahrhaftige, umfassende Betrachtung der Vergangenheit zu einem dauerhaften Frieden und einer bleibenden Lösung beitragen kann. Wie die Untersuchung des Falls Israel/Palästina zeigt, kann eine falsch verstandene Geschichte der jüngeren oder ferneren Vergangenheit sogar noch direkteren Schaden anrichten: Sie kann die Unterdrückung, Kolonisierung und Besatzung von heute rechtfertigen. Es überrascht nicht, dass in solchen Fällen auch die Gegenwart verfälscht wird, ist sie doch Teil der Geschichte, deren Vergangenheit bereits entstellt wurde. Diese Täuschungen über Vergangenheit und Gegenwart verhindern das Verständnis des fraglichen Konfliktes, erlauben eine Manipulation der Fakten und richten sich gegen die Interessen all jener, die Opfer des Konfliktes sind.“

Am 31.10.2023 wurde ein besonders lesenswertes Buch von Eugen Drewermann (4) auf dieser Website vorgestellt: „Nur durch Frieden bewahren wir uns selber. Die Bergpredigt als Zeitenwende“. (5) Auf Gandhi Bezug nehmend weist Eugen Drewermann auf die Bedeutung des Widerstandes für eine bessere Welt im Sinne der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit hin (6):

„Der gewaltfreie Widerstand ist in Wahrheit gerade nicht eine Haltung der Feigheit und der Schwäche, – als eine »grobe Unwissenheit«, bezeichnete zu Recht Mahatma Gandhi diese Anschauung; im Gegenteil: »Der passive Widerstand«, meinte er, »ist die Seelenkraft und in der Wirkung unvergleichlich und beispiellos in der Ausdauer. Er ist der Gewalt der Waffen überlegen. Wie kann man ihn für eine Waffe der Schwachen halten? Der Mut, der eine unabdingbare Voraussetzung für den passiven Widerstand ist, muß denjenigen völlig fremd sein, die physische Gewalt befürworten. Glauben Sie, ein Feigling kann ein gegen ihn gerichtetes Gesetz brechen? … ein passiver Widerständler wird sagen, er gehorche einem Gesetz nicht, wenn es gegen sein Gewissen gerichtet ist, auch dann nicht, wenn er vor der Mündung einer Kanone in Stücke gerissen wird. – Wer, glauben Sie, ist … wahrhaft mutig? Derjenige, der andere Menschen von der Rückseite der Kanone her zerfetzt oder der, der sich mit lächelndem Gesicht zur Kanonenmündung begibt und sich in Stücke reißen läßt? Wer ist hier der wahre Kämpfer, der Krieger? Derjenige, der stets den Tod als vertrauten Freund bei sich hat, oder derjenige, der den Tod anderer in seiner Hand hat? Glauben Sie mir, ein Mensch ohne Mut und Tapferkeit kann nie ein passiver Widerständler sein.« 

Ein Pazifist, ein Mensch der Gewaltlosigkeit, kann demnach, wie Gandhi betonte, nur jemand sein, der die Angst vor dem Tod überwunden hat; es kann ihm nicht mehr um die bedingungslose Verteidigung seines vergänglichen Daseins gegen den Tod durch das Töten anderen vergänglichen Daseins gehen, – schon deshalb verbietet ihm die Verteidigung der Wahrheit, für die er eintritt, den Einsatz tödlicher Waffen; und seine Freiheit muß er nicht verteidigen, – sie ruht in ihm, sie verdankt sich keiner behördlichen Erlaubnis, sie ist das Wesen seiner Geistigkeit. Kein Argument zugunsten militärischer Kampfeinsätze ist so bizarr, wie die Behauptung westlicher Politiker, wir verdankten unsere Freiheit dem hohen Rüstungsstandard des Staates und der »mutigen« Kriegsbereitschaft der Soldaten in den Armeen der Nato. Leute, die man dahin gedrillt hat, daß sie in eidestreuem Gehorsam keinem noch so tödlichen Befehl zu widersprechen wagen, – ausgerechnet diese zutiefst zur Unfreiheit Dressierten und mit einem fertigen Feindbild Ausgestatteten sollen die Träger und Hüter von Freiheit sein!“

Eugen Drewermann setzt die zuletzt genannten Gedanken fort (7):

„Was einen Pazifisten im Sinne der Bergpredigt beschützt, ist die Liebe zu den Menschen und die Liebe zur Wahrheit. Passiver Widerstand, meinte Gandhi deshalb, ist »die Kraft der Wahrheit … Der Wahrheit muß … notwendigerweise gefolgt werden, gleichgültig was es kostet.« Das bedeutet, daß es »für den passiven Widerstand keinen Schritt vorwärts (gibt) ohne die Furchtlosigkeit. Nur diejenigen können den Weg des passiven Widerstands gehen, die frei von Furcht sind, frei von Besitz, frei von Ehren, frei von Verwandten, frei von Regierung … Sie werden einsehen, daß die zusätzlichen Anstrengungen, die ein Schwertkämpfer aufwenden muß, nur aus dem Fehlen der Furchtlosigkeit kommen. Ein Mensch, der frei von Haß ist, braucht kein Schwert.«

„Jewish Virtual Library“ (8) ist ein Projekt von „The American-Israeli Cooperative Enterprise (AICE)“ (9). Diese virtuelle Bibliothek führt auch Texte von Mahatma Gandhi zum Thema Juden und Zionismus auf (10). Es ist aufschlussreich, diese Texte zu lesen:

Gandhi, the Jews & Zionism

By Gandhi

To/About Gandhi

Source: GandhiServe Foundation – Mahatma Gandhi Research and Media Service (reprinted with permission)

******

Anmerkungen

1) Kindheit 6.7. Eine Geschichte der familialen Sozialisation, KINDHEIT, Erziehung und Beschulung des Menschen

Von Michael Hüter, Co-Autorin Gabriele Penzenauer

9. bis 10. Auflage September 2022, Verlag BoD – Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 978-3-200-05507-0

2) Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus

Von Ilan Pappé

Aus dem Englischen übersetzt von Michael M. Schiffmann

3. Auflage 2017, Cosmics Verlag, Neu Isenburg

ISBN: 978-3-9817922-6-3

Zitat von Seite 7

3) Ilan Pappé lehrt am Institut für Arabische und Islamische Studien der Universität von Exeter im Vereinigten Königreich und ist dort als Direktor des Europäischen Zentrums für Palästinastudien tätig. In Haifa geboren diente er 1973 in der israelischen Armee. 1984 promovierte er an der Universität Oxford. Sein 2006 veröffentlichtes Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ gehört zu seinen berühmtesten Schriften. In diesem Buch warf er die Frage der ethnischen Säuberung direkt auf, so dass diese in gewisser Weise schwer zu leugnen war. Damit zog er den Zorn vieler im politischen und akademischen Establishment auf sich. Bis 2007 arbeitete er an der Universität von Haifa und wurde dann aufgrund seiner ideologischen Positionen verwiesen, da er darauf bestand, die Forschung über die Nakba von 1948 auszugraben und zu unterstützen.

4) https://www.verlagsgruppe-patmos.de/autor/eugen-drewermann-516

5) https://afsaneyebahar.com/2023/10/31/20697044/

6) Aus Eugen Drewermann, Nur durch Frieden bewahren wir uns selber. Die Bergpredigt als Zeitenwende © Patmos Verlag. Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2023 www.verlagsgruppe-patmos.de; Seite 153 und 154

7) Quelle wie unter 6 angegeben; Seite 157

8) https://www.jewishvirtuallibrary.org/

9) https://www.jewishvirtuallibrary.org/about-aice

10) https://www.jewishvirtuallibrary.org/gandhi-the-jews-and-zionism